Flucht & Migration

Flucht, Migration und Integration

Schwierige Lage in Griechenland
Die Bewältigung der Corona-Krise bestimmt die aktuelle innenpolitische Diskussion in Deutschland. Aber sie ist nicht die einzige Krise, die von uns entschlossenes politisches Handeln verlangt: Die Flucht von Menschen aus umkämpften Gebieten am Mittelmeer oder aus noch weiter entfernten Kriegs- und Krisenregionen hat unhaltbare Zustände an den Grenzen der EU geschaffen. Rund 33.000 geflüchtete Menschen stecken derzeit auf den griechischen Inseln fest. Was in Griechenland seit Monaten passiert, ist eine humanitäre Katastrophe. Die Evakuierung der Menschen aus den überfüllten Lagern ist dringlicher denn je.  Die ohnehin schon menschenunwürdigen Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern sind durch die Ausbreitung von Krankheiten noch verschärft worden und machen einen sofortigen Handlungsbedarf deutlich.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat mehrfach darauf gedrängt, unbegleitete Minderjährige in Deutschland aufzunehmen. Bisher sind lediglich im April 2020 47 Kinder in Deutschland angekommen. In einem zweiten Schritt hat das Bundesinnenministerium 928 weitere Einreisen genehmigt: 243 behandlungsbedürftige Kinder sowie 685 Familienangehörige dürfen nach Deutschland geflogen werden, 66 davon sollen nach Rheinland-Pfalz, rund 30 Menschen aus Afghanistan und dem Irak sind aus diesem Kontingent schon hier eingetroffen. Auch neun weitere europäische Länder, unter anderem Portugal, Belgien und Finnland, haben sich bereit erklärt, Menschen aus griechischen Lagern aufzunehmen. Diese zusagen reichen angesichts der Zustände in den Lagern bei weitem nicht aus.

Humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen
Das Grundrecht auf Asyl ist eine humanitäre Verpflichtung, die Deutschland bewusst eingegangen ist und der ich mich verpflichtet fühle. Das gilt auch in der jetzigen Lage: ich bin ausdrücklich dafür, dass mehr Schutzbedürftige in Deutschland aufgenommen werden. Die unmittelbare Aufnahme von 5.000 Schutzbedürftigen aus griechischen Lagern durch Deutschland halte ich für notwendig und leistbar, auch unter den Belastungen der Corona-Krise: Beispielsweise sind die rheinland-pfälzischen Aufnahmeeinrichtungen gegenwärtig nur zu etwas mehr als der Hälfte belegt. Wir können und sollten hier schnell helfen. Grundsätzlich gilt für mich: Wer einen tatsächlichen Grund für eine Flucht hat, muss hier Schutz finden und zur Prüfung ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren durchlaufen können. Das muss letztlich für ganz Europa gelten. Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU aus dem Jahr 2018 wird die Erstellung gleicher europäischer Standards bei der Vorgehensweise und der Versorgung von Schutzsuchenden als Ziel festgehalten. Asylverfahren sollen langfristig nicht mehr im eigenen Land, sondern einheitlich an den  Außengrenzen der EU geregelt werden können. Ich setze mich dafür ein, dass eine  solche Lösung für die Verteilung weiterer Menschen in der gesamten EU so schnell wie möglich gefunden wird.

Es ist aufgrund des Zeitdrucks problematisch, dass das Handeln einzelner Länder von einer fehlenden EU-Lösung abhängig ist. Die SPD-Bundestagsfraktion ist dazu mit vielen Verantwortlichen in enger Abstimmung und versucht eine Lösung zu beschleunigen, soweit dies mit politischem Druck und dem Angebot weiterer Unterstützung realisierbar ist. Solange diese Lösung nicht erreichbar ist, sollten einzelne Staaten – wie in der aktuellen Situation in den griechischen Lagern – mit der Aufnahme von Geflüchteten vorangehen, um europäisches Vorbild zu sein und um die Europäische Union in Krisenzeiten handlungsfähig zu halten. Die Hilfsbereitschaft Europas darf nicht von einzelnen Regierungen blockiert werden. Diese Solidarität zeigt sich auch auf kommunaler und Landesebene: Es ist zu begrüßen, dass sich sozialdemokratisch regierte Bundesländer sowie einzelne Gemeinden zur Aufnahme weiterer Hilfsbedürftiger bereit erklären. Der Bundesinnenminister sollte das als willkommene Hilfe bei der Lösung eines schwierigen Problems verstehen und diese Hilfsbereitschaft nicht weiter blockieren.

Steuerung der Zuwanderung
Migration und Integration können aber nur gelingen, wenn Ängste und Befürchtungen aller Beteiligten überwunden werden. Rund ein Fünftel der Europäer betrachtet Migration als größte Bedrohung für die Sicherheit ihrer Länder, noch vor dem Klimawandel. Nicht verwunderlich, dass 64 % der Griechen das so sehen, aber es sind auch 24 % der Deutschen. Daran können wir nicht vorbei gehen. Die Lösung kann nur in transparentem und klarem Vorgehen liegen. Wir dürfen nicht von der Lage überrollt werden, wie das 2015 geschah. Eine zweite unkontrollierte Einwanderungsbewegung gleicher Größenordnung würde die sozialen und politischen Konflikte in Deutschland dramatisch verschärfen. Deswegen muss Migration gelenkt und begrenzt werden. Es ist aber ausdrücklich nicht Ziel meiner Politik, Migration zu verhindern, sondern sie zu steuern. Dabei müssen wir umfassend agieren. Die EU-Außengrenzen sind heute sehr viel besser gesichert, als vor einigen Jahren. Es bleibt das Problem des illegalen Schleuserwesens über die Türkei und des Mittelmeer. Seine Bekämpfung darf aber nicht auf dem Rücken der betroffenen Menschen ausgetragen werden. Flüchtlinge, deren Leben bedroht ist, müssen, vor allem auf dem Mittelmeer, gerettet und in Aufnahmelager gebracht werden. Das ist eine Aufgabe europäischer und nationaler Sicherheitskräfte, nicht aber privater Institutionen. Wir müssen umfassender denken: Neben dem Aufbau eines einheitlichen, menschenwürdigen Asylsystems in Europa müssen auch Fluchtursachen der Menschen wie Kriege, Klimaveränderungen, Menschenrechtsverletzungen und Hunger in den Herkunftsländern nachhaltig bekämpft werden. Das bedeutet, in Entwicklung und in die innere Sicherheit der Heimatländer zu investieren. Den Menschen müssen dort Zukunftsperspektiven durch wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, den Zugang zu Bildung, beständige Infrastrukturen und staatliche Stabilität geschaffen werden. Das wird uns auch finanziell belasten. Der Bund stellte für die internationale humanitäre Hilfe im letzten Jahr mehr als acht Milliarden Euro bereit. Der Ansatz wird dauerhaft bei weitem nicht ausreichen, um beispielsweise im Nahen Osten und in zentralen Regionen Afrikas die Verhältnisse zu stabilisieren. Wir müssen dort mehr Geld investieren. Und es gilt:
Besser investieren in Bildung, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Arbeitsplätze, als nach einem Zusammenbruch in militärische Interventionen, die, wie das Beispiel Mali zeigt, ansonsten unaufhaltsam auf uns zu kommen – und ebenfalls finanzielle und personelle Ressourcen binden.

Arbeitsmigration und Integration
Migration entsteht aber nicht nur aus politischer Verfolgung oder unmittelbarer politischer Bedrohung. Deutschland ist für viele Menschen aus aller Welt ein begehrtes Ziel als Ort zum Arbeiten und Leben. Und der Umfang des Interesses ist sehr hoch: mehr als 150 Millionen Menschen weltweit gelten als potentielle Arbeitsmigranten. Nach Deutschland kommen jährlich ca. 114.000 Fachkräfte, eine bislang vergleichsweise geringe Zahl. Auch wenn Corona-bedingt die Arbeitslosigkeit in unserem Land gestiegen ist und eine unmittelbare Erholung nicht abzusehen ist, gilt aber grundsätzlich weiter:Wir brauchen qualifizierte Arbeitsmigration, um unser Wirtschaftssystem erfolgreich und unser Sozialsystem leistungsfähig zu erhalten. Dazu muss aber auch gelten: Wer hierher als Arbeitsmigrant/in kommt, muss so schnell wie möglich qualifiziert und ausgebildet werden, um sich seinen oder ihren Lebensunterhalt selber verdienen zu können. Das gilt auch für Flüchtlinge, die aus Asyl- und Humanitätsgründen hier sind. Zumal die Motive ohnehin nie vollständig zu trennen sind: Wer Arbeit sucht, kommt meistens auch aus einer bedrohten Lage und wer aus unmittelbarer Bedrohung flieht, braucht auch Arbeit. Die jahrelangen Verfahren müssen deshalb drastisch abgekürzt werden. Menschen jahrelange in einer unsicheren Lage über ihre Zukunft zu halten, ist weder im Interesse der Flüchtlinge, noch dem unseres Landes. Die große Mehrheit der hierher Geflüchteten wird ohnehin bleiben, sei es nach Anerkennung, oder aufgrund einer Duldung. Deshalb sollte unmittelbar nach der Ankunft mit verpflichtenden Deutsch- und Integrationskursen begonnen und die Basis für eine Eingliederung gelegt werden. Wer nicht deutsch spricht, hat keine Chance auf Integration. Deshalb muss auch klar sein:
Wer nicht alles in seiner oder ihrer Macht Stehende tut, um Deutsch zu lernen, wird hier scheitern und kann nicht dauerhaft hier bleiben. Geregelte Zuwanderung ist im deutschen Interesse. Migration ist wirtschaftlich und gesellschaftlich eine Bereicherung für unsere Gesellschaft und muss menschenwürdig wie auch strukturiert realisiert werden. Ich unterstütze eine feste und dauerhafte Einwanderung in unser Land. Denn wir brauchen qualifizierte und engagierte Arbeitskräfte. Das gilt nicht nur für hochqualifizierte Fachkräfte, etwa aus ärztlichen oder pflegerischen Berufen, für die es eigene Wege der Zuwanderung gibt und auch dauerhaft geben muss. Es ist generell unsere Aufgabe, Integrationschancen zu stärken und den Zugang zu Bildungsangeboten und zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dabei spielt Bildung eine herausragende Rolle: Bildung ist die Basis für Integration und gesellschaftlichen Aufstieg. Das gilt gerade auch für Zuwanderer. Und es gilt auch zu verhindern, dass die prekäre Lage vieler Zuwanderer auf dem Arbeitsmarkt ausgenutzt wird: Arbeiternehmerrechte müssen geschützt werden und selbstverständlich auch Migranten umfassen. Es muss verhindert werden, über Zuwanderung eine Billiglohn-Schicht in Deutschland entstehen zu lassen, aus der es keinen Aufstieg gibt. Für alle Menschen, die in Deutschland dauerhaft bleiben wollen, unterstützt die SPD die Integrationschancen. Integration bedeutet politische, wirtschaftliche, rechtliche oder religiöse Möglichkeiten der Teilhabe im jeweiligen Land. Jeder Mensch muss in einer Gesellschaft integrative Leistungen erbringen. Integration fordert nicht die Abgabe der kulturellen Identität des Einzelnen oder einer Gruppe, vielmehr ist sie als Prozess zu verstehen, der soziale Vielfalt konstruktiv zusammenbringt. Deutschland hat in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Vertriebenen, Spätaussiedlern und „Gastarbeitern“ schon einmal eine enorme Integrationsleistung erbracht, auch wenn die Voraussetzungen über Bildung und Sprache dort zumeist erheblich besser waren. Aber wir „können“ Integration, sie muss nur von beiden Seiten mit größerem Engagement als heute angegangen werden. Und dazu gehört auch ein klares Bekenntnis der hier lebenden Menschen zu den Werten und Normen unseres Grundgesetzes: Wer hier dauerhaft leben möchte, muss beispielsweise die gleichberechtigte Rolle der Frau in unserer Gesellschaft, den Status von Polizei und Justiz akzeptieren und sich von jeder Form vom Rassismus und Antisemitismus distanzieren. Wer das nicht will, hat hier dauerhaft keinen Platz.

Konsequentes rechtsstaatliches Handeln
Die Situation vieler zugewanderter Menschen sieht bislang oft anders aus: Vor allem junge Migrant/innen leiden an sozialen Problemen wie etwa an einem fehlenden Zugang zu Bildung und Sprachkursen, an kaum vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten in den Gemeinschaftsunterkünften, an Arbeitslosigkeit sowie Perspektivlosigkeit. Diese ausgrenzenden Faktoren gelten generell als Ursachen für Frustration sowie Existenzängste und können Menschen in die Kriminalität drängen. Das gilt offenbar auch für sehr lange Zeiträume: Die teilweise demonstrative Abwendung beispielsweise türkischstämmiger Deutscher aus der dritten hier lebenden Generation von den Werten, Normen und Verhaltensweisen der deutschen Gesellschaft ist ein besorgniserregendes Signal. In Bezug auf die gewaltsamen Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt am Main wurde in den Medien häufig betont, dass die Täter überwiegend Menschen „mit Migrationshintergrund“ gewesen seien. Ich halte die politische Verwendung dieses Begriffes für problematisch, da er kaum differenziert: Migrationshintergrund haben sowohl die türkischstämmige Hochschulprofessorin, deren Großvater aus Anatolien zugewandert ist, wie auch der Flüchtling aus Syrien, der erst seit sechs Wochen hier ist. Wenn ein gutes Viertel der hier lebenden Menschen im weiteren Sinne einen Migrationshintergrund hat, ist das kein sinnvolles Differenzierungskriterium mehr. Das Asyl- und Einwanderungsrecht wird auch ausgenutzt. Ich trete dafür ein, Menschen, die weder aus Asylgründen noch als Arbeitsmigranten nach Deutschland kommen, sondern die hier sind, um entweder Sozialstaatsleistungen zu beziehen, ohne sich tatsächlich hier integrieren zu wollen, oder die hier massive Straftaten begehen, von anderen Migrantengruppen zu trennen, gegebenenfalls zu bestrafen und – wenn das aufgrund ihres Status‘ möglich ist – sie auszuweisen. Das kriminelle Wirken arabischer Clans in vielen Städten und der zum Teil schwarzafrikanisch dominierte Drogenhandel darf weder hingenommen noch aus falsch verstandener Toleranz ignoriert werden. Nur eine klare Haltung in dieser Frage schafft auch Akzeptanz für die weitere Öffnung unserer Gesellschaft für Zuwanderung.
Die Realität ist aber: Straftaten werden nicht aufgrund der Herkunft der Täter, sondern aufgrund sozialer Verhältnisse begangen. Weltweit sind junge Männer im Alter von 16 bis 29 Jahren die größte Gruppe an straffälligen Menschen, zudem werden kriminelle Migranten prinzipiell öfter bei der Polizei gemeldet und auch kontrolliert. Mehr als die Hälfte der Asylantragssteller in Deutschland ist männlich und unter 29 Jahre alt. Dies sind alles die Kriminalstatistiken verzerrende Faktoren. Es ist nach meiner Kenntnis aufgrund von Zuwanderern zu keinem generell signifikanten Anstieg von Straftaten gekommen. Flüchtlinge dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Um Straftaten zu verhindern, muss auch bei ihnen in die soziale Integration und Kriminalitätsprävention investiert werden. Genauso müssen aber Strafdelikte schnell und entsprechend bestraft werden, um die Glaubwürdigkeit des deutschen Rechtsstaats zu wahren. Es gibt keinen Freibrief für Gewalt und Chaos: Die persönlichen oder gesellschaftlichen Lebensumstände rechtfertigen keinesfalls die Gewaltaktionen, die gegenüber der Polizei bei den Randalen aktuell ausgeübt wurde. Genauso wenig ist diskriminierendes
Verhalten der Polizei gegenüber Bürgern akzeptabel. Es ist gut, dass wir eine Bürgerpolizei haben und grundsätzlich auf die Strategie der Deeskalation setzen. Dieser Ansatz ist im Normalfall richtig, um das Vertrauen in die Polizei zu fördern. Doch diese Strategie hat Grenzen. Es gibt Menschen, die trotz einer beruhigenden Ansprache und anderen Maßnahmen zur Deeskalation nicht von Verbrechen oder Gewalttaten abzuhalten sind. In diesen Fällen muss die Polizei die Möglichkeit haben, konsequent durchzugreifen. Und es ist die Aufgabe von Politik – als Vertreter/innen der demokratischen Gesellschaft – in solchen Situationen der Polizei Rückhalt zu sichern. Dabei ist es völlig egal, wo der Geburtsort möglicher Straftäter oder ihrer Eltern liegt.

Fazit
Der Zuwanderungsdruck auf Deutschland wird nicht nachlassen. Schon aus humanitären Gründen sollten wir uns dieser Zuwanderung öffnen und konkret und schnell Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen. Darüber hinaus muss unsere Politik darauf ausgerichtet sein, Arbeitsmigration nach Deutschland zu öffnen und zu lenken und die dazu notwendigen Qualifikationen zu vermitteln. Die Mitwirkung der Migrant/innen dabei ist unerlässlich. Wer das nicht will oder gar nicht vorhat, sich in unserem Land ein legales, wirtschaftlich selbständiges Leben aufzubauen, kann hier dauerhaft keinen Platz finden. Alle, die das aber wollen, sollten uns willkommen sein.